Wie navigiert der Berliner Immobilienmarkt durch Energie- und Zinswende?

Inflation, hohe Zinsen und die Energiewende stellen Eigentümer und Investoren vor neue Herausforderungen. Wie sich die aktuellen Megatrends auf den Immobilienmarkt und Käuferverhalten auswirken und wie die Perspektiven für die kommende Zeit sein könnten. Eine kurze Analyse.

von Peter Guthmann Veröffentlicht am:

Status Quo

Seit 2010 untersuchen wir in unseren Reports kontinuierlich die Entwicklungen auf dem Berliner Immobilienmarkt. Trotz Milieuschutz, Mietendeckel und Umwandlungsverbot konnten wir meist festhalten: Die Immobilienpreise steigen. 2020 brachte die Coronapandemie den Immobilienmarkt nur kurz aus dem Tritt, ohne ihn nachhaltig zu beeinträchtigen. Kaum war die Pandemie überwunden, führte der Angriffskrieg auf die Ukraine 2022 zu explodierenden Energiepreisen und zu stark steigenden Inflationsraten im Euroraum. Die EZB reagierte mit einer Serie von Leitzinserhöhungen, in deren Folge die Zinsen für Wohnungsbaukredite von rund einem Prozent (2020) auf aktuell über vier Prozent anzogen. Damit sind Immobilien heute spürbar teuerer als vor dem Ukraine-Krieg. Weitere Faktoren sind das veränderte, eigenkapitallastige Bewertungsverhalten von Banken und die Energiewende. Jeder dieser Faktoren beeinflusst das Investitions- und Kaufverhalten. Auch Mieter sind in der Kostenspirale. Steigende Mieten und Nebenkosten belasten das verfügbare Haushaltseinkommen und die Liquidität der Haushalte. Von der Miete in Eigentum zu wechseln wird schwieriger.  

Einflussfaktoren und Dynamiken der Energiewende

Die Versorgungssicherheit nach der Energiekrise scheint überwunden und die Preise bewegen sich auf "Vorkriegs-Niveau". Gleichzeitig wurde durch die Versorgungskrise die Energiewende erheblich beschleunigt; ein Prozess, der nun früher als erwartet von vielen Eigentümern Investitionen für die energetische Modernisierung des Bestandes erfordert. Sanierungs- und Modernisierungspflichten werden in Deutschland dabei kontrovers diskutiert. Die Ampelkoalition plante ursprünglich, das Gebäudeenergiegesetz GEG noch vor der Sommerpause zu novellieren. Konflikte über dessen genaue Gestaltung, insbesondere bezüglich der Fristenregelungen, verursachten jedoch Verzögerungen. Ziel dieses Gesetzes ist es, den Energieverbrauch in Gebäuden für Heizung, Kühlung und Strom zu senken und durch den vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien klimapolitische Ziele zu unterstützen. Der Verbrauch fossiler Ressourcen soll reduziert, Energieimport-Abhängigkeiten verringert und der Anteil erneuerbarer Energien für Heizung und Kühlung erhöht werden.

Und was bedeutet das konkret für den Berliner Wohnungsbestand? Zunächst einmal erhebliche Investitionen im gesamten Wohnungssektor. Flankiert wird das GEG von der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG), die Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz in Wohn- und Nichtwohngebäuden unterstützt, einschließlich des Austauschs alter fossiler Heizungen durch erneuerbare Energiesysteme. Die Höchstgrenze förderfähiger Kosten beträgt bei Wohngebäuden max. 60.000 Euro pro Wohneinheit und bei Nichtwohngebäuden max. 1.000 Euro pro m2 Nettogrundfläche, insgesamt max. 5 Millionen Euro. Ein Blick auf die Beschaffenheit des Wohnungsbestandes in Berlin, zeigt die Größe der bevorstehenden Aufgabe.

Berliner Bestandsimmobilien nach Baujahresklassen und Art der Eigentümer sowie Anteil von Mietern in Berlin.

Baujahresklasse Anzahl Wohneinheiten Sammelheizung Fernwärme Gas Heizöl
bis 1918 447.000 424.800 86.500 262.700 73.000
1919 – 1948 317.000 305.600 87.000 153.700 62.800
1949 – 1978 686.000 667.800 322.700 138.400 205.800
1979 – 1990 230.500 229.900 178.300 20.200 30.500
1991 und später 56.500 56.100 7.200 38.700 8.500
  1.737.000 1.684.200 681.500 613.600 380.500
Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Statistischer Bericht F I 2 – 4j / 10. Fehlmengen ergeben sich aus Mikrozensus

Rund eine Million Wohneinheiten müssen umgestellt werden

Rund eine Million Wohnungen werden in Berlin mit fossilen Brennstoffen beheizt und mit Warmwasser versorgt. Etwa 77 Prozent des Bestandes stammen aus den Jahren vor 1986. Und von diesen 77 Prozent werden wiederum rund 75 Prozent von Mietern bewohnt. Den Sachaufwand für den Umstieg auf Erneuerbare zu schätzen ist an dieser Stelle unmöglich. Hier sei aber auf einen Referentenentwurf verwiesen, der sich mit dieser Frage auseinandersetzt. Als problematisch erweist sich die bisherige Berliner Landes-Linie, nach der klimapolitische Ziele dem Mieterschutz noch immer untergeordnet sind. Seit vielen Jahren sind energetische Maßnahmen im Rahmen von Erhaltungssatzungen (Milieuschutzgebiete) nur möglich, wenn sie gesetzlich vorgeschrieben sind. Vorausschauenden Eigentümern waren damit in Sachen Klimaschutz die Hände gebunden. Dass die von meist grünen Baustadträten ultra restriktiv gehandhabten Genehmigungsrichtlinien jetzt durch das GEG übersteuert werden, wird durch die Kostenumlage von 8 Prozent der Kosten auf die Mieter für fast alle Haushalte höhere Nettomieten bedeuten. (Lesen Sie hier einen Blogbeitrag zum grünen Zielkonflikt Klima vs. Mieterschutz) 

Und die Zinsen?

Energetische Maßnahmen werden vorgeschrieben, durchgeführt und eingepreist.

Aber wie verhält es sich mit dem Faktor Zins, der sich, wie man aktuell sieht, überraschend schnell ändern kann? So wurde der Leitzins von 2005 bis 2008 von mittleren 2,00 Prozent auf 4,25 Prozent angehoben. Kleinere Erhöhungen gab es auch 2010. Nach 2012 setzte die EZB angesichts durchgängig niedriger Teuerungsraten in der EU auf eine konsequente Politik der niedrigen Zinsen, um die Wirtschaft anzukurbeln. 2014 wurde der Leitzins auf 0,05 % gesenkt, 2016 dann auf 0 %, wo er bis 2021 verblieb.

In Deutschland folgten die Bauzinsen fast mechanisch dem Leitzins und beflügelten lange den Boom auf dem Immobilienmarkt in Berlin. Nachholeffekte, Mietnachfrage durch Zuzüge, günstige Kaufpreise und Mieten im Mittelfeld, die internationale Beliebtheit Berlins und die wahrnehmbare Transformation zu einer modernen Top Metropole sind die Grundlage des Berliner Immobilienmarktes und günstige Kredite sind der Katalysator. Damit ist Berlin trotz der aktuell schwierigen Zinslage gegenüber anderen lokalen Märkten erheblich im Vorteil.  Auch wenn die  hohen Zinsen die anderen Komponenten derzeit übersteuern, ist es primär eine Frage der Zeit, bis Berlin-Immobilien wieder an Fahrt gewinnen.

Wann zieht der Markt wieder an?

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zuletzt am 20. Mai 2023 eine Erhöhung der Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte auf 3,75 Prozent vorgenommen. Zuletzt lag der Leitzins im Euroraum im Sommer 2008, im Auge der internationalen Wirtschaftskrise, mit 4,25 Prozent noch einmal deutlich über dem heutigen Wert. Etwa ein halbes Jahr später schwenkte die Zentralbank um und begann in mehreren Schritten den Satz auf knapp 1 Prozent zu drücken.

Die Einschätzungen von IWF und EZB zum möglichen weiteren Inflationsverlauf liegen nah beieinander. Die Inflationsprognosen der EZB für die Eurozone vom März 2023, betragen 5,3 Prozent für 2023, 2,9 Prozent für 2024 und 2,1 Prozent für 2025. 

Es gilt als wahrscheinlich, dass die EZB, sobald sich die Inflationsprognosen bestätigen, die europäischen Wirtschaften wieder mit günstigem Geld stimulieren wird. Im September 2022, als die Inflation in der Eurozone und in Deutschland jeweils Rekordhöhen erreichte, war der Druck auf die EZB groß, die Geldentwertung zu bekämpfen und die Inflationsrate in Richtung 2 Prozent zurückzuführen. Umgekehrt wird der Druck aus den Mitgliedsländern wachsen, den Leitzins wieder zu senken, sobald die Maßnahmen Wirkung zeigen. 

 

Keine Leitzinssenkung in 2023

Mit prognostizierten 5,3 Prozent Kern-Inflationsrate ist es unwahrscheinlich, dass 2023 eine erste Leitzinssenkung stattfindet. Die Inflationsaussichten seien weiterhin zu hoch, und dies über einen längeren Zeitraum, heisst es in einem Interview mit Isabel Schnabel, EZB Vorstandsmitglied, vom Mai (Quelle). Der Wert liege noch zu deutlich vom 2-Prozent-Ziel entfernt. Schnabel zufolge sei aber 2024 mit den vollen Effekten der straffen Geldpolitik zu rechnen. Gleichzeitig zeigen historische Daten, dass die EZB tendenziell einen Sicherheitsabstand zwischen Erhöhung und Senkung lässt. Unter diesen Annahme ist eine Lockerung der straffen Geldpolitik in diesem Jahr sehr unwahrscheinlich.  

Vielleicht Beginn 2024?

Die nächste EZB Sitzung findet Mitte Juni statt. Es wird erwartet, dass eine weitere Zinserhöhung um 0,25 Punkte beschlossen wird, die Mitte des dritten Quartals 2023 greifen würde. Das von der Präsidentin der EZB Christine Lagarde in einem weiteren Interview (Quelle) bemühte Bild ,vom Kampf gegen die Inflation als  Flugzeug, das sich im Steigflug befindet und stetig an Geschwindigkeit gewinnt, um letztlich sicher an seinem Ziel anzukommen, könnte darauf hinweisen, dass die Reiseflughöhe bald erreicht ist. Gehen wir vom oben erwähnten Sicherheitsabstand zwischen Erhöhung und Senkung von etwa 6 Monaten aus, könnte eine erste Zinssenkung im März 2024 stattfinden. Der EZB-Rat als oberstes Gremium  trifft sich in der Regel zweimal im Monat, um die wirtschaftliche Gesamtlage zu analysieren, Prognosen zur Konjunktur und Inflation zu erstellen und auf dieser Grundlage etwa alle sechs Wochen einen Entschluss zu den Leitzinsen festzulegen. Die nächsten Termine liegen am 14. Juni, 27. Juli und am 14. September 2023. Am 14.Juni rechnen die Märkte bislang fest mit der Ankündigung einer weiteren Erhöhung um 0.25 Punkte, bereits im Juli gilt dies nicht mehr als gegeben und im September wird die Inflationsprognose mit weniger Unsicherheit behaftet sein.  

Wir haben in einer kleinen Grafik die wichtigsten Kennzahlen im zeitlichen Verlauf für Sie zusammengefasst. Insbesondere die Nähe der Projektionen von IWF und EZB zum Inflationsverlauf bis 2025 machen Hoffnung, dass die straffe Geldpolitik in Kombination mit weiteren Maßnahmen der EZB die Inflation in 2023 auf einen Wert um 5,3 Prozent und dann zügig weiter absenken. Folgt man den Projektionen, läge die Inflation im Jahr 2025 wieder im Zielkorridor von knapp über 2 Prozent. Die Annahmen zum Bauzins sind schwer zu treffen, da diese in den Jahren des 0-Prozent Leitzinses im allgemeinen etwas höher über dem Leitzins lagen, als dies hier angenommen wird. Sollte das Vertrauen der Banken in eine weiterhin positive Inflationsentwicklung fortbestehen, ist eine Rückkehr zu Zinssätzen im Bereich von 2,5 Prozent bei 10 Jahren Laufzeit nach Rücksprache mit Finanzierern realistisch.    

Fazit

Der Berliner Immobilienmarkt steht vor Herausforderungen, die durch globale Ereignisse und strukturelle Faktoren beeinflusst werden. Neben der veränderten Zinslage erfordert der Wechsel zu einer nachhaltigen Energiepolitik immensen Einsatz. Immobilien sind teurer geworden und das Investitions- und Kaufverhalten hat sich verändert.  Es ist schwieriger geworden, von der Miete zum Eigentum zu wechseln, es ist schwieriger geworden, Eigenkapital aufzubringen und es ist vorübergehend schwieriger geworden, einen Quadratmeterpreis zu erzielen, der dem Wert der Immobilie und der Lage entspricht und gleichzeitig die Renditeanforderung des Marktes erfüllt.

Die Energiekrise hat den Prozess der Energiewende beschleunigt und erfordert von den Immobilieneigentümern Investitionen und von Mietern die Erkenntnis, dass es keinen Klimaschutz zum Nulltarif gibt. Investitionen in Immobilien dienen aber nicht nur dem Werterhalt, sondern erhöhen diesen. Die Kostenverteilung erfolgt in einem fair-share. Es gibt BEG Zuschüsse bis zu 40 Prozent der Maßnahmen, verbilligte Kredite und Umlagemöglichkeiten. 

5,3 (2023), 2,9 (2024) und 2,1 Prozent Inflation (2025) wären zwar erfreuliche Perspektiven für die kommenden Jahre. Eine Abkürzung zum Zwei-Prozent Inflationsziel der EZB gibt es dennoch nicht und die kommende Zeit wird von Unsicherheiten geprägt sein. Selbst wenn im Bereich des ersten, Anfang des zweiten Quartals 2024 eine erste, behutsame Leitzinssenkung kommt, ist dies kein U-Turn Richtung Niedrigzins.

Insgesamt muss vorerst mit der IST Situation gerechnet und gearbeitet werden. Dass der Berliner Immobilienmarkt trotz eines von vielen Faktoren getriebenen Paradigmenshifts noch immer wächst, verdankt er neben den anhaltenden Zuzügen und fundamentaler Mietknappheit seiner erheblichen Robustheit. Trotzdem wird es Korrekturen geben. Wie stark diese ausfallen, wird nicht nur von äußeren Faktoren beeinflusst werden, sondern auch von der Reaktionsfähigkeit der Eigentümer auf die Begebenheiten.

 
 
schliessen